Über Autorenporträts

Eine Regel scheint im Literaturbetrieb für alle Schriftsteller*innen, bekannte wie weniger bekannte, gleichermassen zu gelten: Kein Buch ohne Porträt des Autors oder der Autorin, wenn nicht auf dem Cover, dann wenigstens auf der Verlagshomepage und auf Social Media.

Nun ist es kein Geheimnis, dass Bilder schöner Menschen den Absatz steigern, egal, ob man Autos, Versicherungen oder halt eben Bücher verkauft. Doch schmückt das obligate Autorenporträt nicht nur die Umschläge und Werbekanäle der überdurchschnittlich attraktiven Exemplare unserer Spezies, nein, auch bei Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die nicht dem landläufigen Schönheitsideal entsprechen, ist es Pflicht.

Buchkäufer*innen, so die Schlussfolgerung der (nicht ganz) unabhängigen Beobachterin, reagieren nicht nur positiv auf Abbildungen attraktiver Schriftsteller*innen, sondern mögen Autorenfotos ganz generell. Offenbar findet der potenzielle Leser ein Buch tendenziell ansprechender, wenn er weiss, wie der*die Verfasser*in aussieht. Ebenso greift die potenzielle Leserin eher zu einem Roman, wenn sie das Gesicht des Autors oder der Autorin kennt.

Doch weshalb eigentlich? Woher rührt dieser Wunsch, ein Werk mit dem Konterfei seiner Urheberin, seines Urhebers zu verbinden? – Zuerst einmal kann man konstatieren: Der Wunsch ist alt. Schon in der Frühen Neuzeit, das heisst, ab dem 16. Jahrhundert, begannen Herausgeber, ihre Bücher mit Stichen oder Zeichnungen der Autoren (damals waren es fast ausschliesslich Männer) zu versehen, weil sie sich so anscheinend besser verkaufen liessen.

Dies deutet darauf hin, dass der Wunsch einem urmenschlichen Bedürfnis entspringt, dem Bedürfnis nämlich, dem Gegenüber beim Sprechen nicht nur zuhören, sondern auch zusehen zu können. Worte, so wissen wir aus Erfahrung, erzählen nie die ganze Geschichte. „C’est le ton, qui fait la musique“, sagt man auf Französisch. – „Und die Mimik“, möchte man auf Deutsch anfügen. Bei Menschen, die wir nicht kennen, ziehen wir überdies gerne weitere Erscheinungsmerkmale bei, um ihre Aussagen einzuordnen: Das Alter, beispielsweise, oder die Kleidung.

Man kann also die Vermutung wagen, dass potenzielle Leser*innen Autorenporträts vor allem deshalb schätzen, weil sie ihnen – in ihrer subjektiven Wahrnehmung – zu einem besseren Verständnis des Buches verhelfen, das sie zu kaufen erwägen. Mit dem Foto (oder noch besser einem Instagram-Video) der Erzählerin vor Augen, erhält der Klappentext oder die Verlagsvorschau eine zusätzliche Dimension für die Leserin, fühlt der Leser sich eher in der Lage abzuschätzen, ob das, was da zwischen den Buchdeckeln steht, seinem Geschmack entspricht.

Auf den Punkt gebracht: Buchkäufer*innen nutzen Autorenporträts als Interpretations- und Entscheidungshilfen. Und wer wollte es ihnen verdenken? Niemand kauft gerne die Katze im Sack.

Bleibt anzumerken, dass Autorenporträts (wie erste Eindrücke von Personen in natura auch) täuschen können. Vielleicht ist der Roman der gescheit aussehenden Mittvierzigerin am Ende so intellektuell ansprechend wie eine Klatschzeitschrift, erweist sich der Thriller des verwegen dreinblickenden Dreissigjährigen bei genauerem Hinsehen als in etwa so aufregend wie ein Schüleraufsatz. Aber immerhin wissen die Käufer*innen in diesen Fällen, was sie zum Fehlkauf verleitet hat, und das ist allemal besser, als sich grundlos geirrt zu haben.

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