„(…) jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, dichtete einst Hermann Hesse und schenkte der deutschen Sprache damit eines ihrer wohl meist zitierten Bonmots. Was Hesse für den Beginn einer neuen Lebensstufe formulierte, sollte idealerweise auch für die ersten Seiten eines Buches gelten: Sie sollten ein Versprechen für viele zauberhafte Lesestunden sein und die Leser*innen vom ersten Satz an in ihren Bann schlagen.
Für Autorinnen und Autoren sind Buchanfänge daher eine besondere Herausforderung, eine, die nicht alle gleichermassen gerne annehmen. Ich gehöre zu den Schreibenden, die es lieben, Buchanfänge zu erfinden. In der Tat habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, ein Buch zu schreiben, das nur aus Anfängen besteht. Genauer: Nur aus Prologen. Prologe sind meine liebste Schreibdisziplin. Schon meine ersten literarischen Gehversuche beginnen mit einem Prolog, und beide meiner bisher veröffentlichten Romane haben einen.
Was mich an Prologen fasziniert? – Zum Einen zwingen sie die Autorin, sich auf das Wesentliche oder zumindest auf einen wesentlichen Aspekt ihrer Geschichte zu konzentrieren. Prologe sind vorweggenommene Schlüsselszenen, und die sind für Schreibende tendenziell attraktiver zu verfassen als das ganze „Drumherum“ (obwohl auch dieses grosse kreative Energien frei setzen kann, wie die zahlreichen Wälzer beweisen, die es in der Weltliteratur gibt).
Zum Anderen haben Prologe den Vorteil, von überschaubarer Länge zu sein. Teilzeit-Schriftsteller*innen wie ich können einen Prolog an zwei, drei Wochenenden fertigstellen, wohingegen sich das Schreiben des gesamten Buches oft über Jahre hinzieht. Diesen Vorteil haben Prologe mit Kurzgeschichten gemein, nur dass bei ihnen die Pointe nicht das Finale des Textes bildet, sondern den Rest des Romans füllt, was der Komposition ein offenes Ende und damit einen zusätzlichen Reiz verleiht.
Für „gewöhnliche“ Buchanfänge gilt im Kern dasselbe wie für Prologe: Sie funktionieren am besten, wenn man mit einer viel sagenden Szene einsteigt und zugleich genügend Fragen offen lässt, um die Lesenden zum Weiterblättern zu animieren. Leider (je nach Perspektive auch zum Glück) bestehen Bücher nicht nur aus Anfängen. Auf die „Exposition“ – um zwei weitere Begriffe aus der Musik aufzugreifen – folgt die „Durchführung“ und mit ihr der Versuch, möglichst viel vom Zauber des Anfangs in den Rest der Geschichte hinüber zu retten. Darin, wie gut dies gelingt, zeigt sich die Meisterschaft eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin.
Ewig kann jedoch auch der gewiefteste Autor, die cleverste Autorin den Spannungsbogen nicht aufrecht erhalten. Was Hesse als Gefahr der menschlichen Existenz generell beschreibt – „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise / Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen“ – gilt mindestens ebenso sehr für das Bücherlesen: Auf Dauer droht jeder Roman langweilig zu werden.
Drum braucht ein Buch neben einem viel versprechenden Anfang immer auch ein passendes Ende. – Ich empfehle einen Epilog, in dem dann vielleicht schon der Keim eines neuen Anfangs bzw. eines nächsten Bandes steckt.